Nicht zu früh auf andere schielen ...

Ramona und Thomas Roth-Berghofer von The Tempest interviewen Gabi Neumayer im August 2012.

Liebe Gabi, Krankenhäuser, die sich gegen die Außenwelt verteidigen müssen, Flüchtlingsszenarien wie während und nach dem zweiten Weltkrieg. Dein in der nahen Zukunft angesiedelter SF-Thriller ist erschreckend realistisch. Wie kamst du überhaupt auf diese Idee?

Die Idee ist schon mindestens 12 Jahre alt, und ausgelöst wurde sie durch „Star Trek“. Ich habe mich irgendwann angesichts der fliegenden Autos über der Golden Gate Bridge gefragt, wieso es die überhaupt noch gibt, wenn man doch beamen kann. Und weiter: Was könnte diese Technologie für die Menschen auf der Erde bedeuten, wenn man das mal konsequent durchdenkt – für ihr Leben, ihre Beziehungen, die Organisation ihrer Gesellschaft? So ergaben sich, wie am Anfang jeder Geschichte, immer mehr Fragen: Wo würde man leben, wenn man überall wohnen und trotzdem blitzschnell an jedem anderen beliebigen Ort sein könnte? Wie würden die Ressourcen (neu) verteilt beziehungsweise verteidigt? Welche Wirtschaftszweige würden eingehen, welche neuen entstehen? Wie könnte man Verbrecher dann noch effektiv verfolgen? Und nicht zuletzt: Welche Ausrede zieht im Zeitalter des Beamens noch, wenn man keine Lust hat, Oma zu besuchen?

Wie bist du beim Schreiben vorgegangen? Bist du mehr eine intuitive Autorin, oder planst du jedes Detail im Voraus?

Ich gehöre ganz klar zum Lager der PlanerInnen. Bei einem Roman wie diesem geht das auch gar nicht anders. Schließlich musste ich nicht nur meine drei Hauptfiguren mit ihren jeweils eigenen Handlungssträngen entwickeln und handhaben, sondern auch eine möglichst überzeugende Welt erschaffen. Dazu ist jede Menge Detailarbeit notwendig – bevor ich mit dem Schreiben anfing, hatte ich schon zig Seiten zum Hintergrund gesammelt und zusammengeschrieben.

Außerdem gab es bei diesem Roman eine besondere Herausforderung: Die Geschichte beginnt im Jahr 2036, als das Tornetz (das weltweite Beamsystem) ausfällt. Zu diesem Zeitpunkt hatte es schon 12 Jahre lang existiert und das Leben der Menschen enorm verändert. Aber auch der Zeitpunkt seiner Erfindung (2024) liegt für uns noch in der Zukunft. Ich hatte also jede Menge Geschichte, die bei Beginn des Romans schon vergangen war und die ich irgendwie geschickt einbauen musste, ohne mit Rückblenden zu langweilen oder Infodumps zu produzieren. Um dieses Problem zu lösen, musste ich schon sehr viel über meine Geschichte wissen – und entsprechend planen. Einen Szenenplan hatte ich diesmal trotzdem nicht, war aber nah dran. Es gab jedenfalls noch jede Menge Raum für Überraschungen und neue Ideen beim Schreiben.

Wie sah deine Recherchearbeit für „Als die Welt zum Stillstand kam“ aus? Hast du Katastrophen-Dokus und Fachzeitschriften aus der Zukunftsforschung studiert?

Ja – aber das war keine Arbeit für mich, das interessiert mich sowieso. Ich habe unter anderem Studien gelesen, die sich mit Katastrophenereignissen beschäftigen. Besonders hilfreich war da eine Studie des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und der Universität Karlsruhe, in der ein detailliertes Szenario eines großflächigen Stromausfalls am Beispiel von Baden-Württemberg entwickelt wurde. Erschreckend und kaum zu fassen, wie schnell alles zusammenbricht, wenn der Strom ausfällt! Und in meinem Buch hängt die gesamte Ver- und Entsorgung (Strom, Wasser, Abfall) am Tornetz, da geht es dann noch etwas schneller und härter zur Sache.

Aber ich habe natürlich nicht nur gelesen, sondern auch jede Menge Experten mit meinen oft recht abwegigen Fragen gelöchert (die Dankesliste am Ende des Buches ist entsprechend umfangreich). Vom Professor für Kybernetik, der Laufroboter entwickelt, über den ehemaligen “Hygienearzt” und den Forscher im Bereich der Superkondensatoren bis zum CB-Funker und zur Migrationsexpertin ...

Wie umfangreich gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Lektorat des Beltz & Gelberg Verlags?

Mein Agent hatte “Als die Welt zum Stillstand kam” anhand eines 16-seitigen Exposés vorgestellt. Daran habe ich mit meiner Verlagslektorin Julia Röhlig gefeilt – sie hatte viele “gemeine” Fragen! Die allesamt notwendig waren, weil man bei einem so umfassenden Weltentwurf schon einiges durchdenkt, aber eben doch nicht alles. Und so konnte ich einige Schwachstellen und Lücken mit ihrer Hilfe noch füllen. Dann habe ich die Leseprobe geschrieben, zu der ich ebenfalls hilfreiches Feedback bekam.

Als das Manuskript fertig war, habe ich mit Eva-Maria Kulka eine wunderbare Lektorin bekommen. Zum einen war sie natürlich schon deshalb großartig, weil sie sich für meine Geschichte sofort begeistert hat – aber sie hatte auch hervorragende Ideen für Verbesserungen und verfügt über ein erstaunliches Sprachgefühl, von dem ich sehr profitiert habe. Es war eine Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten.

Hattest du Einfluss auf die Titelwahl, die Wahl des Buchcovers oder den Klappentext?

Eher nein. Mit dem Titel habe ich mich selbst so schwer getan, dass ich Freunde und Schwestern eingespannt habe. Irgendwann hatte ich dann einen Titel gefunden, der aus einem kurzen englischen Wort bestand. Aber der Verlag fand genau das nicht gut. Schließlich kam man dort dann auf den jetzigen Titel. Zuerst war ich nicht so glücklich damit, aber inzwischen gefällt er mir doch.

Ebenso ging es mir mit dem Cover – das im allerletzten Moment auch noch geändert werden musste, da hab ich dann sowieso nicht mehr mitreden können. Aber ich habe auch hier wieder mal gemerkt: Als AutorIn hat man da einfach nicht den richtigen Blick. Es muss ja der Zielgruppe gefallen und sie ansprechen, nicht einem selbst. Ein Buch mit einem Cover, das ich mir ausgesucht hätte, würde vermutlich "echt” nach Science-Fiction aussehen, aber niemand würde es kaufen ... Inzwischen habe ich schon viel Feedback zum Cover bekommen – ohne Ausnahme positiv. Und der Klappentext: Ich hätte die 450 Seiten niemals auf einen so kurzen Text kondensieren können, dazu war ich auch am Ende immer noch viel zu sehr drin. Ich bin sehr froh, dass meine Lektorin das erledigt hat – besser als ich es je gekonnt hätte.

Wie lange hast du an „Als die Welt zum Stillstand kam“ gearbeitet?

Die erste Idee, wie gesagt, ist etwa 12 Jahre alt. Gearbeitet daran habe ich in den letzten drei Jahren immer wieder. Insgesamt habe ich vielleicht ein Jahr mit Planung und Recherche verbracht und dann ein sehr kompaktes halbes Jahr mit Schreiben. In dieser Zeit habe ich aber auch so gut wie nichts anderes mehr getan ...

Du hast mit neun Jahren angefangen zu schreiben. Wie kamst du schon als Kind dazu? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Erinnern kann ich mich daran nicht mehr. Ich hatte nur schon immer das Bedürfnis, zu schreiben. Eine der ersten Inspirationen war für mich damals der Liedermacher Ulrich Roski, der Lieder mit endlos vielen Strophen schrieb, zum Beispiel “Der kleine Mann im Ohr” oder “Des Pudels Kern”. Meine ersten Gedichte umfassten auch gern mal zwanzig oder dreißig Strophen. Ich habe es geliebt, zu reimen, das liegt mir. Auch meine ersten Veröffentlichungen in unserer Schülerzeitung waren gereimt. Ansonsten habe ich als Kind sehr gern Satiren geschrieben. Das waren meist ein- oder zweiseitige Geschichten, in denen ich aufs Korn nahm, was mich in unserer Familie ärgerte. Respekt im Nachhinein, dass meine Eltern mein Schreiben trotzdem weiter unterstützt haben, auch wenn sie manchmal “not amused” waren.

Was macht deiner Meinung nach einen guten Autor aus?

Weil ich mich selbst so schwer damit tue, weiß ich: Disziplin, einfach schreiben, schreiben, schreiben, keine endlosen Ausreden – das ist für mich der Kern, wenn man besser und irgendwann gut werden möchte. Aus meinen Erfahrungen als Kind würde ich aber auch sagen (was einem als Erwachsenem manchmal verlorengeht), dass die pure Lust an Sprache und an Geschichten die erste und wichtigste Voraussetzung ist. Dann sollte man viel lesen (aber die meisten AutorInnen tun das sowieso), damit man daraus lernt. Das muss nicht bewusst geschehen, aber es geschieht, wenn man nur genug liest und manchmal auch abseits dessen guckt, was einen hauptsächlich interessiert.

(...)

Das vollständige Interview erschien in The Tempest 14-8, August 2012
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